Das Verzascatal im Tessin ist, selbst wenn man sich auf Wanderungen im Talboden beschränkt, schon traumhaft schön! Aber was die Società Escursionistica Verzaschese (SEV) oben auf dem Grat, in schwindelerregender Höhe über dem Talgrund erschaffen hat, sucht seinesgleichen! Die Idee geht zurück bis 1983 und findet schließlich mit der Eröffnung 1994 ihre Verwirklichung.
In vier bis fünf Tagen führt die Via Alta della Verzasca am Grat entlang, von Selbstversorgerhütte zu Selbstversorgerhütte und garantiert dem Extremwanderer Freuden in der höchsten Kategorie der Schweizer Wanderskala…T6. Nicht umsonst dient er auch in den Führern des Schweizer Alpen Clubs als offizielle Referenz für diesen (höchsten) Schwierigkeitsgrad. Im Klartext heißt das: Stundenlanges “gehen” über Felsgrate mit links und rechts jeweils hunderten von Metern heisser Luft unter den Sohlen! Ein Fehltritt mündet unweigerlich in einer Tragödie, so einfach ist das an vielen Stellen dieses spektakulären Wegs! Mit anderen Worten nichts für uns Genusswanderer. Aber die Hütten die der Weg verbindet und die liebevoll, oft aus Ruinen, mit viel Geld und Arbeit vom SEV in gemütliche Refugien verwandelt wurden, reizten uns schon seit langem sehr. Was also tun?
Kann man einen Höhenweg auch quer begehen?
Und ob! In uns reift mehr und mehr das Konzept die herrlichen Hütten der Via Alta della Verzasca zu besuchen, ohne die Gefahren der exponierten Grate auf uns zu nehmen. Was liegt da näher als den Weg quer zu begehen? Will heißen jeweils aus dem Tal aufzusteigen, die wunderschönen Hütten teils mutterseelenalleine (!) zu genießen, wieder ins Tal zu gehen, Proviant zu tanken um dann einige Kilometer weiter talaufwärts das Gleiche mit der nächsten Hütte zu wiederholen! Drei Hütten in vier Tagen…und immer bestens versorgt, da das Auto im Tal mit seiner Kühlbox allmittäglich als kulinarische “Tankstelle” fungiert. So entsteht eine traumhafte Kette von Hütten, die Individualisten unter den Berggängern lieben werden: Alpe Bardughe, Capanna Cornavosa, Capanna Costa.
Prolog hoch über dem Lago Maggiore
Doch solch ein Projekt erfordert es zunächst einmal mental im Tessin anzukommen. Was wäre da besser geeignet, als eine Akklimatisationsnacht 1600 Meter über Brissago und dem See auf unserer Lieblingshütte, Al Legn? Alleine hatten wir gehofft… doch die Capanna ist wohl inzwischen so bekannt, dass das Ende August kaum möglich erscheint. Aber auch die Gesellschaft Gleichgesinnter hat ihren Reiz! Und so lassen wir uns inspirieren von dem Paar aus dem Berner Oberland, das mit 65 Jahren zum ersten mal ins Tessin reist (warum soll man auch dahin fahren, wenn man 4000er vor der Tür hat?), oder von der Tessinerin, der man auch als Nordlicht ihr bis dahin unbekannte Tessiner Touren Tipps geben kann. Ganz zu schweigen von den Tessinern die extra aus USA angereist sind um die Ferien in den heimatlichen Bergen zu verbringen. Und begleitet wird das alles von Franco, dem Presidente. Dem Chef der Amici della Montangna Brissago, die dieses Refugium erschaffen haben. Er bekochte uns mit einem grandiosen Menue, dessen Höhepunkt ein geniales Risotto von selbst gesammelten Steinpilzen war. Später, als die internationale Crew sich bereits dem Matratzenlager widmet, genießen Franco und ich die sensationelle Nacht incl. Sternenhimmel vor der Hütte. Der Lago Maggiore mit seiner ihn über zwei Länder hinweg umgebenden Lichterkette unter uns, im Norden der Alpenbogen im Vollmondlicht auf Augenhöhe und im Süden die Po Ebene und Mailand mit ihren Millionen künstlichen Lichtern unter uns. Was für ein Kraftort!!!
Mit anderen Worten, genau der richtige Platz um sich im nächtlichen Gespräch auf der Hüttenterrasse, mit Blick von Mailand bis zum Piz Bernina, von Franco, il Presidente, die Interna der Gegend erklären zu lassen und sich damit mental auf die nächsten Tage vorzubereiten. Auf die Via Alta della Verzasca QUER! Und als über den Brissago Inseln die Sonne aufgeht und das erste Boot seine Linien in den Lago Maggiore zieht, gibt es kein Halten mehr!
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